Sassnitz

Tagesspiegel:

In einem Brief, datiert auf den 5. August 2020, sprechen drei US-Senatoren als Mit­glieder des Auswärtigen Ausschusses eine unmissverständliche Warnung aus. Sollte es die Sassnitz Fährhafen GmbH weiterhin erlauben, dass Schiffe für das Nord-Stream-2-Projekt von ihr ausgerüstet und zum Weiter­arbeiten befähigt würden, habe sie Sanktionen mit „fatalen Folgen“ zu befürchten. Der Hafen, seine Mitarbeiter sowie sämtliche Anteilseigner würden wirtschaftlich von den USA abgeschnitten.

Das würde, so die Senatoren weiter, auf die unmittelbare ökonomische Vernichtung hinauslaufen. Sie schließen ihre namentlich an den Geschäftsführer der GmbH und dessen Justiziar adressierte „formal legal notice“ mit dem Hinweis, dass die beiden Herren auf „Aktionärsklagen in Milliarden­höhe für die Verletzung ihrer Treu­händer­pflicht“ gefasst sein müssten.

Aktionärsklagen? Bei einem kommunalen Unternehmen?

Sassnitz hat das Privileg von zwei Häfen, beide gehören der Stadt, was den 53 Jahre alten, großgewachsenen Mann mit kurzen Haaren und einer modischen Brille automatisch im Aufsichtsrat der Betreiber­gesellschaft Fährhafen GmbH sitzen lässt. Kracht vertritt 90 Prozent der Gesell­schafter­anteile am Fährhafen. Zehn Prozent hält das Land Mecklenburg-Vorpommern.

Ob ihm da nicht mulmig werde? Der kleine Bürgermeister allein gegen eine Supermacht?

Für Bürgermeister Frank Kracht stellt die Pipeline nur ein Projektgeschäft dar. Foto: Kai Müller

Da strafft sich Krachts wuchtiger Körper. Es gebe in Deutschland immer noch „das Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung“, sagt er. „Wir lassen uns von niemandem vorschreiben, welche Schiffe wir in unserem Hafen anlegen lassen.“

Handelt es sich also um eine „wirtschaftliche Kriegserklärung“, wie der Grünen-Politiker Jürgen Trittin meint?

Nach Erhalt des Briefs der Senatoren wandte sich Kracht nach Berlin, an die diplomatischen Profis. Man möge ihm erklären, „ist das ernstzunehmen?“ Was solle er den Bürgern sagen? Er fragt sich: „Was macht das mit uns in Sassnitz, wenn einer in den USA die Stimme erhebt und sagt, ‚Ich mache euch kaputt‘?“

An seiner Stelle, so hat man ihm seitens der Landesregierung bedeutet, solle er derzeit von Reisen in die USA absehen. Okay. Hatte er auch nicht vor.

Vielen Europäern sei nicht bewusst, „was auf sie zukommt“, sagt Sascha Lohmann von der Stiftung Wissenschaft und Politik, der dort intensiv zu Sanktionen in der US-Außen­politik forscht und berät. Wenn das Auftreten dreier US-Senatoren aus deutscher Sicht auch befremdlich wirken mag, so berechtige sie die amerikanische Verfassung dazu, sagt der Politikwissenschaftler.

Der Kongress habe die alleinige Kompetenz in Fragen des Außen­wirt­schafts­verkehrs, deshalb begreife sich jeder der 100 Senatoren als eigener Außenminister. Die Blockade gegenüber Nord Stream 2 ging denn auch auf die Initiative des Kongresses zurück. Die Trump-Administration hat sie bislang eher widerwillig umgesetzt.

Interessant findet Lohmann in diesem Fall, wie schlampig der Brief der Senatoren Cruz, Johnson und Cotton formuliert ist. Er werfe Sanktionen in einen Topf, die ganz unter­schiedlich wirkten. Einige seien schon gebilligt, andere noch gar nicht vorbereitet, und dann gibt es welche, die erst Ende 2020 in Kraft treten könnten. Etwa das Verbot, die Pipeline in mehr als 30 Meter Wassertiefe zu verlegen. Wenn man es also schaffte, die Trasse durch flachere Gewässer zu führen, täte man dem Gesetz genüge.

Handelsblatt:

SPD-Außenpolitiker Christoph Matschie kritisiert das Verhalten der Senatoren: „Das ist kein akzeptabler Umgang unter Verbündeten. Die USA sind dabei, das Vertrauen, dass sie in Jahrzehnten in Europa aufgebaut haben, komplett zu verspielen.

Tagesspiegel:

Niels Annen, Staatsminister im Auswärtigen Amt, erklärte gegenüber dem Tagesspiegel: „Mit ihrer Politik der extraterritorialen Sanktionen greift die USA in unsere nationale Souveränität und die unserer europäischen Partner ein. Wir haben gegenüber unseren amerikanischen Partner deutlich gemacht, dass wir uns gegen die Ausübung von Druck auf europäische Unternehmen verwehren. Deswegen sind Tonfall und Inhalt der Drohbriefe, die von amerikanischen Senatoren verschickt worden, völlig unangebracht. Unser Ziel ist es die europäische Souveränität zu stärken. Denn Europa darf sich nicht erpressbar machen.“

Manuela Schwesig (SPD), Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, reagiert empört auf die Drohungen aus den USA.

Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) wies die Drohungen ebenfalls scharf zurück: „Diese Drohungen sind absolut inakzeptabel. Deutschland kann selbst entscheiden, woher und auf welchem Weg es seine Energie bezieht“, sagte sie dem Tagesspiegel. „Mecklenburg-Vorpommern hält am Bau der Pipeline fest. Ich erwarte auch von der Bundesregierung, dass sie diesen Erpressungsversuchen entschieden entgegentritt.“

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